Fußball-WM 2022 in Katar
Antifeministische Diskurse der Neuen Rechten auf Telegram
Antifeministische Diskurse der Neuen Rechten auf Telegram
13. Dezember 2023
Vor dem Hintergrund vorangegangener Untersuchungen des ISD zur rechtsextremen Szene in Deutschland untersucht dieser Dispatch die Verbreitung antifeministischer Weltbilder in deutschsprachigen Telegram-Kanälen von Rechtsextremen, Rechtsradikalen und Verschwörungsideolog:innen. Dabei dient die Fußball-WM 2022 in Katar als ereignisbezogene Fallstudie. Eine intersektionale Analyse der Telegram-Nachrichten rund um die WM zeigt die rhetorischen und metapolitischen Strategien neurechter Akteur:innen. Dabei wird insbesondere darauf eingegangen, wie neben Frauenfeindlichkeit, auch Queer- und Muslimfeindlichkeit eingesetzt werden.
Laut Begriffsverständnis des Bundesprogramms »Demokratie leben!« richtet sich Antifeminismus »nicht nur gegen Feminismus und Gleichstellung«, sondern zeigt sich als »Anti-Gender-Mobilisierung«, die sich gegen Vielfalt und Gleichwertigkeit »sexueller, geschlechtlicher, amouröser und familiärer Lebensweisen und Identitäten« richtet. Antifeminismus und die sogenannte »Manosphere« – ein Konglomerat aus verschiedenen Online-Gemeinschaften, die eine misogyne und antifeministische Weltsicht teilen – sowie die Verbindung zur Neuen Rechten werden zunehmend Thema wissenschaftlicher Untersuchungen. Neurechte Akteur:innen vermitteln ihre nationalistischen und ethno-nationalistischen Ideologien vor allem durch subtile und intellektuelle Konzepte wie »Identität«, wobei antifeministische und misogyne Ansichten häufig als Vektor für Radikalisierung dienen.
Dem Messengerdienst Telegram kommt dabei eine besondere Bedeutung zu, zumal Telegram in den vergangenen Jahren zur wichtigsten Plattform für rechte und verschwörungsideologische Mobilisierung im deutschsprachigen Raum geworden ist und so auch zur Verbreitung antifeministischer Weltbilder beiträgt. Telegram kann sowohl für die individuelle Direktkommunikation als auch für Vernetzung und Massenkommunikation verwendet werden. So können etwa Kanäle mit einer unbegrenzten Zahl an Abonnent:innen erstellt werden.
Die Untersuchung nutzt die Fußball-WM 2022 in Katar als ereignisbezogene Fallstudie. Basis der Analyse ist eine Seed-Liste von 238 öffentlichen Telegram-Kanälen aus dem rechtsextremen, rechtsradikalen und verschwörungsideologischen Spektrum. Die Nachrichten dieser Kanäle wurden mithilfe der Analyse-Software Method52 von CASM Technology gesammelt. Dabei sind zunächst alle Nachrichten gesammelt worden, die ein Keyword mit Bezug zu der WM in Katar beinhalteten. Die Datensammlung beschränkte sich auf den Zeitraum zwischen dem 13. November und 25. Dezember 2022. Das Ergebnis war ein Datensatz von 592 Nachrichten, die von Hunderten, teils Tausenden Abonnent:innen aufgerufen wurden. Diese Nachrichten sind qualitativ auf antifeministische Inhalte untersucht worden, die häufig mit Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, und anderen Diskriminierungsformen verbunden sind. Diese Mehrfachdiskriminierung wird unter dem Begriff der Intersektionalität gefasst, geprägt von Kimberlé Crenshaw. Um die Mehrdimensionalität im Kontext dieser Analyse zu berücksichtigen, wurden die antifeministischen Beiträge aus einer intersektionalen Perspektive untersucht – und insgesamt 191 Nachrichten (32 Prozent) als antifeministisch codiert.
Vor der WM diskutierten Medien das Tragen der »One Love«-Armbinde durch Team-Kapitän Manuel Neuer, mit der die Nationalmannschaft ein symbolisches Zeichen für Diversität und Menschrechte setzen wollte. Die Idee der Armbinde entstand nicht explizit für die Fußball-WM, sondern wurde bereits in Spielen der UEFA Nations League sowie in den Testspielen vor der WM von den Teamkapitänen der an der Aktion teilnehmenden Mannschaften getragen. Im Kontext der WM in Katar untersagte die FIFA kurzfristig das Tragen der Binde und drohte mit sportlichen Sanktionen. Vor diesem Hintergrund wurde die Nationalmannschaft in den untersuchten Telegram-Kanälen als »woke-Meister«, »wokeness-Helden« oder »woke Schickeria« bezeichnet. Symbolische Zeichen für Diversität wurden zudem mit Ausdrücken wie »DFB-Gendergaga« und »Gratismuthelden« ins Lächerliche gezogen oder als »Regenbogenpropaganda« und »moralische Selbsterhebung« diskreditiert.
Diese Form der anti-»woke«–Rhetorik spiegelt eine bereits seit Jahrzehnten angewandten Strategie rechtsextremer und neurechter Milieus wider: die Aneignung und Umdeutung von Begriffen und theoretischen Konzepten. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Begriff der »political correctness« (PC), der in den späten 1980er Jahren in den USA entstand und von der Rechten erfolgreich als Kampfbegriff übernommen wurde. Im Wahlkampf der US-Präsidentschaftswahl 2016 wetterte der damalige Kandidat Donald Trump noch gegen PC. Dabei definierten weder Trump noch seine Anhänger:innen was sie genau mit PC meinten oder wer diese durchsetzen würde. Indem Trump sich immer wieder als Opfer von PC inszenierte, etablierte er einen Mythos von linken Kräften, die angeblich versuchten, unbequeme Wahrheiten zu unterdrücken und Sprache zu kontrollieren.
Auch die deutschsprachige Neue Rechte hat sich des Begriffs angenommen, unter anderem im Kontext des islamfeindlichen Blogs PI-News (Politically Incorrect News), der 2021 vom Verfassungsschutz als »erwiesen extremistisch« eingestuft wurde.
Der PC-Begriff wird nunmehr durch den Begriff der »wokeness« und des »woke« seins ergänzt bzw. ersetzt, der heute eine noch weitere Bandbreite an politischen Themen abdeckt wie etwa den Klimaschutz. Dabei wurde die Bedeutung des Begriffs »woke« von dem afroamerikanischen Schriftsteller William Melvin Kelley geprägt, der ihn 1962 im Titel seines New York Times-Essay »If you’re woke you dig it« verwendete. In dem Essay schreibt Kelley über »black slang« und dessen (Neu-)Erfindung als Reaktion auf die Aneignung durch Weiße. Das Konzept wurde 2014 von der Black Lives Matter (BLM) Bewegung aufgegriffen, um gegen rassistische Polizeigewalt zu protestieren. Seitdem wird der »woke«-Begriff von einflussreichen Akteur:innen der neurechten Szene immer wieder instrumentalisiert, als Bedrohung dargestellt oder sarkastisch verwendet. So werden mit »woke« sein und »wokeness« ein Kollektiv und eine Geisteshaltung negativ konnotiert, und Frustrationen beim Zielpublikum provoziert. Den assoziierten Personen werden aggressive und intolerante Motive zugeschrieben, die im Gegensatz stehen zu der eigentlichen, anti-rassistischen Grundhaltung des Konzepts.
Nachrichten, die als antifeministisch codiert worden sind, eigneten sich Argumente postkolonialer Kritik an. Diese soll eigentlich die Reproduktion ungleicher globaler Machtstrukturen und Erfahrungen mit Kolonialismus hervorheben. Die untersuchten Nachrichten suggerierten dagegen, sie würden einen eurozentristischen Diskurs entlarven, indem sie legitime Menschenrechtskritik an dem Gastgeberland Katar, die eben auch die strukturelle Diskriminierung von Frauen und LGBTQ+ Community umfasst, als rein westliche »woke«-Ideologie darstellten.
So solle der Westen die Kataris nicht belehren und sich stattdessen mit »der Kultur und [den] Sitten eines fremden Landes« arrangieren. Auch direkte Vergleiche zum Kolonialismus werden dabei gezogen. Es wird vom »neokoloniale[n] Gutmenschentum« gesprochen oder behauptet, die Rhetorik der Katar-Kritiker:innen passe »Eins zu Eins in die Kolonialzeit, als man Afrikanern westliche Werte und westliches Denken überstülpen wollte«. In einem verlinkten Blog-Artikel der Webseite von Boris Reitschuster, einem in der verschwörungsideologischen Szene auf Telegram weitverbreitetes Medium, heißt es, die »rotgrünwoken Gesinnungswächter« würden sich wie »einst die Kolonialherren« verhalten, indem sie von den Kataris forderten, »an ihren, westeuropäischen Werten ihre Welt genesen zu lassen«. Damit wird provokant eine Zeile aus einem Gedicht von Emanuel Geibel aus dem Jahr 1861 paraphrasiert [»Am deutschen Wesen mag die Welt genesen«], das wiederum von Kaiser Wilhelm II. als politischer Slogan umgedeutet wurde. Neurechte Akteur:innen verwenden diese Zeile erneut, um eine angebliche moralische Tyrannei links-grüner Politik mit Nationalsozialismus und Kolonialismus zu vergleichen.
Wie auch bei den Begriffen »politically correct« und »woke«, werden sich hier Konzepte angeeignet, die nicht ursprünglich aus dem rechtsextremen Milieu stammen. Durch eine neue Belegung bzw. unsachgemäße Verwendung der Konzepte werden die politischen Gegner:innen provoziert und gleichzeitig LGBTQ+ und Frauenrechte diskreditiert.
Einige der untersuchten Nachrichten verbreiteten Islam- und Muslimfeindlichkeit. Ein weitergeleitetes Plakat mit einer Aussage des innenpolitischen Sprechers der AfD, Markus Wagner, soll auf einen Kulturrelativismus in Bezug auf die WM in Katar hinweisen: »Woke ist, den Islam in Katar zu kritisieren und in Europa zu feiern«. Dabei propagieren die AfD und neurechte Akteur:innen das Konzept des Kulturrelativismus selbst in Form des eigens entwickelten Weltbilds des Ethnopluralismus. Bei diesem Weltbild handelt es sich um ein rechtsextremes Gegenkonzept zum Universalismus, der laut Neurechten eine unterdrückende Form der Gleichmacherei sei. Laut Ethnopluralismus hingegen besäßen Völker eine unveränderbare Identität, gebunden an die Region und Kultur, aus der sie stammen, die es zu erhalten gelte. Dies bedeutet für Neurechte demnach, gegenüber nicht-westlichen Staaten keinen Anspruch auf universelle Menschenrechte zu erheben, da diese deren Kultur nicht entsprächen. Wie auch bei der Aneignung von Argumenten der postkolonialen Kritik werden Menschenrechte als »woke« diskreditiert. So werden Diskriminierungen aufgrund bestimmter Merkmale wie Religion, sexueller und geschlechtlicher Identität nicht nur gebilligt, sondern die Existenzen und Stimmen von LGBTQ+ und anderen marginalisierten Personen in Ländern wie Katar ignoriert und geleugnet.
Das von der Soziologin Raewyn Connell etablierte Konzept der hegemonialen Männlichkeit umfasst ein vorherrschendes männliches Leitbild, das sich gegen alternative Männlichkeitskonstruktionen durchsetzt und die Aufrechterhaltung des Patriarchats sicherstellt. Dabei werden Frauen untergeordnet, ebenso wie Männer, die dem vorherrschenden Männlichkeitsideal nicht entsprechen, Homosexuelle und andere Queer-Personen.
Diese Unterordnung wird auch in einigen der untersuchten Nachrichten deutlich. Fußball wird als »schwuler Dummsport«, die Nationalmannschaft als »queere Kasperköpfe« und »eierlose Hampelköppe« diskreditiert. In einer Nachricht heißt es, Männer müssten »heute eh keine Eier mehr haben«. Neben transphoben Äußerungen verbreiten sich auch zahlreiche misogyne Inhalte. Frauen werden abwertend als »halbnackte Weiber« und Bundesinnenministerin Nancy Faeser als »LGBTQ-Domina« verspottet.
Einige der Nachrichten fokussieren sich in diesem Kontext auf die nationale Identität und deren vermeintliche Unterdrückung. Die feministische Forschung über internationale Politik nach Cynthia Enloe legt dar, wie nationalistische Ideologien auch dazu dienen, patriarchale Strukturen aufzuwerten. So wird die Nationalmannschaft beispielsweise als »entdeutschte ‘Schlaaaandschaft’ von weichgespülten Schwächlingen« und »Multikulti-Gutmenschen-Truppe« bezeichnet. Der Erhalt des Patriarchats scheint zugleich zentral für die extreme Rechte und ihr Programm einer Rekonstruktion der vermeintlich gefallenen nationalen Gemeinschaft. Für Rechtsextreme begründet schon allein die demographische Komponente eines imaginierten Wiederaufbaus die Notwendigkeit von patriarchalen Gendernormen und hegemonialer Männlichkeit und der einhergehenden Unterordnung von gebärfähigen Personen.
Auch während der Fußball-WM der Frauen äußerten sich die untersuchten Kanäle vorwiegend antifeministisch, wenn auch in geringem Umfang. Insgesamt wurden 62 Beiträge zur Frauen-WM erfasst, von denen 22 als antifeministisch codiert wurden. So wurde die Reaktion auf den Vorfall, bei dem der Verbandschef Luis Rubiales während der Siegerehrung am 20. August 2023 die spanische Spielerin Jennifer Hermoso uneinvernehmlich auf den Mund küsste, als »männerfeindliches Theater« verharmlost. Andere Nachrichten spielten den Übergriff, wegen des Hermoso mittlerweile Strafanzeige gegen Rubiales erstattete, als »Farce« herunter. Neben diesen Nachrichten fand die Untersuchung queerfeindliche Beiträge (»Zickenkrieg beim Lesbenfußball«) sowie, ähnlich wie bereits bei der WM in Katar beobachtet, muslim- und islamfeindliche Nachrichten, die einen »Kampf der Kulturen« propagierten (»Hijab statt Regenbogenbinde«).
Neurechte Milieus auf Telegram verbreiten und normalisieren antifeministische Weltbilder. Während die Gesamtdiskussion sowohl zur Fußball-WM der Männer mit knapp unter 600 Nachrichten als auch zur Fußball-WM der Frauen mit 62 Nachrichten eine Nischen-Diskussion abbildet, ist der Anteil antifeministischer Nachrichten mit 32 Prozent im Kontext der Männer-WM und 35 Prozent im Kontext der Frauen-WM auffällig. Die Untersuchung zeigt rhetorische und metapolitische Strategien der Neuen Rechten innerhalb dieser antifeministischen Diskurse auf.
Dazu gehören die Aneignung und Umdeutung von theoretischen Konzepten sowie eigene ethnopluralistische Ansätze. Dies verstärkt eine Unsichtbarmachung von Queer-Personen, insbesondere in Ländern, in denen diese von der Regierung unterdrückt werden. Erneut wird die fest verankerte Rolle von Männlichkeit und nationaler Identität im Kontext neurechter Ideologien deutlich. Mit Blick auf den erwiesenen Anstieg von Antifeminismus sowie Menschenfeindlichkeit gegen Homosexuelle und Trans-Personen ist die weitere Erforschung des rechtsextremen Milieus und die Funktion von Antifeminismus als ideologisches Bindeglied notwendig. Die Untersuchung der unterschiedlichen Strategien neurechter Akteur:innen sollte die Entwicklung politischer Handlungsoptionen unterstützen, um antiliberalen und antidemokratischen Positionen in Gesellschaft und Politik entgegenzuwirken.
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